Schicksale  
 
Falko - War ich wirklich nichts wert?
 
             
 

Am 30.09.2004 wurde ein alter, schwerkranker Rottweiler-Rüde bei uns im Tierheim abgeschoben. Er war seinem „Herrchen“ wohl nicht mehr gut genug – nicht einmal genug wert, seinen letzten Gang mit ihm zu gehen. Wichtiger, als die Leiden seines Hundes, der ihm jahrelang ein treuer Gefährte war, war dem Herrn das „Stammbuch“, welches er wohl in einem Augenblick der Unachtsamkeit im Tierheim gelassen hatte. Dieses forderte er zurück, nachdem Falko von seinen Leiden erlöst war.

Wie hat wohl Falko seine letzten Stunden erlebt?

„...ein neuer Tag, und wieder diese Schmerzen. Seit 8 Wochen schon quälen sie mich jeden Tag. Du warst mit mir beim Tierarzt, aber die wirklich notwendige Behandlung hast du nicht durchführen lassen. Zu teuer, keine Zeit...

War ich dir wirklich so wenig wert?

Eine Frau kommt vorbei, wir steigen in ihr Auto, jede Bewegung strengt mich an, schmerzt. Unser Ziel: das Tierheim! Sie haben dich überredet, mich dorthin zu bringen – sie sagen, du sorgst nicht gut für mich – der dunkle Raum im Hinterhof wäre kein artgerechtes Zuhause für mich. Ich weiss nicht, ob sie recht haben – ich kenne es ja nicht anders.

Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, du übergibst meine Abstammungsurkunde der Frau im Tierheim, zeigst keine Trauer...war ich dir sowenig wert?

Ich habe Angst - was geschieht jetzt mit mir? Immer wieder schaue ich zu dir auf, aber du reagierst nicht, beruhigst mich nicht. Eine Frau kommt und nimmt mich mit, redet leise mit mir, sagt mir, dass sie mich zu einer Ärztin bringt, mir geholfen wird. Ich folge ihr – 2 bis 3 Schritte, dann kann ich nicht mehr, breche neben ihr zusammen. Sie kniet neben mir auf dem Boden, streichelt mich, redet beruhigend auf mich ein. Auch andere fremde Menschen, die mich so sehen, beruhigen mich, reden mit mir. Eine fremde Frau, die mich da zum ersten Mal sieht, hat Tränen in den Augen, so sehr schmerzt es sie, mich leiden zu sehen.

UND DU?!? DU, der mich von Welpenbeinen an kannte...DU stehst nur wenige Schritte von mir entfernt, schaust kurz zu mir und wendest Dich dann wieder ab, um weiter die Abgabe-Erklärung auszufüllen. Wie sehr hätte ich DICH in diesem Moment gebraucht...war ich DIR nicht einmal das wert?

Sie heben mich auf eine Decke, tragen mich zu einem Auto, um mich in die Tierklinik zu bringen. Die ganze Zeit sind sie bei mir, reden mit mir, streicheln mich. DU bist nicht mehr da, bist nach Hause gefahren. DICH kümmert es jetzt nicht mehr, was mit mir geschieht, wie es mir geht. Hat DICH das je gekümmert?

Voller Angst und unter Schmerzen lasse ich alle Untersuchungen über mich ergehen. Sie kennen mich kaum, sind sich nicht sicher, wie ich reagiere, wenn ich bei der Untersuchung Schmerzen habe, aber ich würde ihnen nie etwas antun – ich spüre, dass sie mir nur helfen wollen.

Meine letzte Nacht in der Klinik – wieder fremde Menschen. Aber alle sind gut zu mir, nehmen mir meine Angst. Der Morgen – die Diagnose: Ein Tumor in der Halswirbelsäule. Sie werden mich von meinen Leiden erlösen. Wieder ist die ganze Zeit jemand bei mir, streichelt mich, beruhigt mich. UND DU?!? DU, der eigentlich diesen letzten Weg hätte mit mir gehen sollen, DU bist nicht da!

War ich DIR gar nichts wert?

Ich werde müde, die Schmerzen verblassen, es ist vorbei – ich habe es geschafft...

Aber – ohne DICH – mit fremden Menschen bin ich diesen Weg gegangen. Aber es waren Menschen, denen ich etwas bedeutet habe, obwohl sie mich kaum gekannt haben.

Ihnen war ich es wert... !!!"

Am 01.10.2004 mussten wir Falko leider von seinem Leiden erlösen. Was wir erlebt haben, hat uns doch sehr an folgendes Gedicht erinnert:

 

© Jim Willis 2001

(Übersetzt aus dem Amerikanischen von Elvira Rösch & Nicole Valentin-Willis) 

 

Wir möchten Sie dazu ermutigen, "Wie konntest Du nur?" zu veröffentlichen und so mitzuhelfen, die verbreitete Vorstellung von Tieren als "entsorgbar" zu ändern und vor Augen zu halten, dass der Entschluss, ein Tier in eine Familie aufzunehmen, eine Verpflichtung bedeutet, welche für die Lebensdauer des Tieres anhält! Jim Willis

Wie konntest Du nur ?

Als ich noch ein Welpe war, unterhielt ich Dich mit meinen Possen und brachte Dich zum Lachen. Du nanntest mich Dein Kind, und trotz einer Anzahl durchgekauter Schuhe und so manchem abgeschlachteten Sofakissen wurde ich Dein bester Freund. Immer wenn ich "böse" war, erhobst Du Deinen Finger und fragtest mich "Wie konntest Du nur?" - aber dann gabst Du nach und drehtest mich auf den Rücken, um mir den Bauch zu kraulen. 

Mit meiner Stubenreinheit dauerte es ein bisschen länger als erwartet, denn Du warst furchtbar beschäftigt, aber zusammen bekamen wir das in den Griff. Ich erinnere mich an jene Nächte, in denen ich mich im Bett an Dich kuschelte und Du mir Deine Geheimnisse und Träume anvertrautest, und ich glaubte, das Leben könnte nicht schöner sein. Gemeinsam machten wir lange Spaziergänge im Park, drehten Runden mit dem Auto, holten uns Eis (ich bekam immer nur die Waffel, denn "Eiskrem ist schlecht für Hunde", sagtest Du), und ich döste stundenlang in der Sonne, während ich auf Deine abendliche Rückkehr wartete. 

Allmählich fingst Du an, mehr Zeit mit Arbeit und Deiner Karriere zu verbringen - und auch damit, Dir einen menschlichen Gefährten zu suchen. Ich wartete geduldig auf Dich, tröstete Dich über Liebeskummer und Enttäuschungen hinweg, tadelte Dich niemals wegen schlechter Entscheidungen und überschlug mich vor Freude, wenn Du heimkamst und als Du Dich verliebtest. 

Sie, jetzt Deine Frau, ist kein "Hundemensch" - trotzdem hieß ich sie in unserem Heim willkommen, versuchte ihr meine Zuneigung zu zeigen und gehorchte ihr. Ich war glücklich, weil Du glücklich warst. Dann kamen die Menschenbabies, und ich teilte Deine Aufregung darüber. Ich war fasziniert von ihrer rosa Haut und ihrem Geruch und wollte sie genauso bemuttern. Nur dass Du und Deine Frau Angst hattet, ich könnte ihnen wehtun, und so verbrachte ich die meiste Zeit verbannt in einem anderen Zimmer oder in meiner Hütte. Oh, wie sehr wollte auch ich sie lieben, aber ich wurde zu einem "Gefangenen der Liebe". 

Als sie aber grösser waren, wurde ich ihr Freund. Sie krallten sich in meinem Fell fest, zogen sich daran hoch auf wackligen Beinchen, pieksten ihre Finger in meine Augen, inspizierten meine Ohren und gaben mir Küsse auf die Nase. Ich liebte alles an ihnen und ihre Berührung - denn Deine Berührung war jetzt so selten geworden - und ich hätte sie mit meinem Leben verteidigt, wenn es nötig gewesen wäre. 

Ich kroch heimlich in ihre Betten, hörte ihren Sorgen und Träumen zu, und gemeinsam warteten wir auf das Geräusch Deines Wagens in der Auffahrt. Es gab einmal eine Zeit, da zogst Du auf die Frage, ob Du einen Hund hättest, ein Foto von mir aus der Brieftasche und erzähltest Geschichten über mich. In den letzten Jahren hast Du nur noch mit "Ja" geantwortet und das Thema gewechselt. Ich hatte mich von "Deinem Hund" in "nur einen Hund" verwandelt, und jede Ausgabe für mich wurde Dir zum Dorn im Auge. 

Jetzt hast Du eine neue Berufsmöglichkeit in einer anderen Stadt, und Du und sie werdet in eine Wohnung ziehen, in der Haustiere nicht gestattet sind. Du hast die richtige Wahl für "Deine" Familie getroffen, aber es gab einmal eine Zeit, da war ich Deine einzige Familie. 

Ich freute mich über die Autofahrt, bis wir am Tierheim ankamen. Es roch nach Hunden und Katzen, nach Angst, nach Hoffnungslosigkeit. Du fülltest die Formulare aus und sagtest "Ich weiss, Sie werden ein gutes Zuhause für sie finden". Mit einem Achselzucken warfen sie Dir einen gequälten Blick zu. Sie wissen, was einen Hund oder eine Katze in "mittleren" Jahren erwartet - auch mit "Stammbaum". Du musstest Deinem Sohn jeden Finger einzeln vom Halsband lösen, als er schrie "Nein, Papa, bitte! Sie dürfen mir meinen Hund nicht wegnehmen!" Und ich machte mir Sorgen um ihn und um die Lektionen, die Du ihm gerade beigebracht hattest: über Freundschaft und Loyalität, über Liebe und Verantwortung, und über Respekt vor allem Leben. Zum Abschied hast Du mir den Kopf getätschelt, meine Augen vermieden und höflich auf das Halsband und die Leine verzichtet. Du hattest einen Termin einzuhalten, und nun habe ich auch einen. 

Nachdem Du fort warst, sagten die beiden netten Damen, Du hättest wahrscheinlich schon seit Monaten von dem bevorstehenden Umzug gewusst und nichts unternommen, um ein gutes Zuhause für mich zu finden. Sie schüttelten den Kopf und fragten "Wie konntest Du nur?". 

Sie kümmern sich um uns hier im Tierheim so gut es eben geht. Natürlich werden wir gefüttert, aber ich habe meinen Appetit schon vor Tagen verloren. Anfangs rannte ich immer vor ans Gitter, sobald jemand an meinen Käfig kam, in der Hoffnung, das seiest Du - dass Du Deine Meinung geändert hättest - dass all dies nur ein schlimmer Traum gewesen sei... oder ich hoffte, dass es zumindest jemand wäre, der Interesse an mir hätte und mich retten könnte. Als ich einsah, dass ich nichts aufzubieten hatte gegen das vergnügte Um-Aufmerksamkeit-Heischen unbeschwerter Welpen, ahnungslos gegenüber ihrem eigenen Schicksal, zog ich mich in eine ferne Ecke zurück und wartete. 

Ich hörte ihre Schritte als sie am Ende des Tages kam, um mich zu holen, und trottete hinter ihr her den Gang entlang zu einem abgelegenen Raum. Ein angenehm ruhiger Raum. Sie hob mich auf den Tisch und kraulte meine Ohren und sagte mir, es sei alles in Ordnung. Mein Herz pochte vor Aufregung, was jetzt wohl geschehen würde, aber da war auch ein Gefühl der Erleichterung. Für den Gefangenen der Liebe war die Zeit abgelaufen. Meiner Natur gemäss war ich aber eher um sie besorgt. Ihre Aufgabe lastet schwer auf ihr, und das fühlte ich, genauso wie ich jede Deiner Stimmungen erfühlen konnte. 

Behutsam legte sie den Stauschlauch an meiner Vorderpfote an, während eine Träne über ihre Wange floss. Ich leckte ihre Hand, um sie zu trösten, genauso wie ich Dich vor vielen Jahren getröstet hatte. Mit geübtem Griff führte sie die Nadel in meine Vene ein. Als ich den Einstich fühlte und spürte, wie die kühle Flüssigkeit durch meinen Körper lief, wurde ich schläfrig und legte mich hin, blickte in ihre gütigen Augen und flüsterte "Wie konntest Du nur?" 

Vielleicht verstand sie die Hundesprache und sagte deshalb "Es tut mir ja so leid". Sie umarmte mich und beeilte sich mir zu erklären, es sei ihre Aufgabe dafür zu sorgen, dass ich bald an einem besseren Ort wäre, wo ich weder ignoriert noch missbraucht noch ausgesetzt werden könnte oder auf mich alleine gestellt wäre - einem Ort der Liebe und des Lichts, vollkommen anders als dieser irdische Ort. Und mit meiner letzten Kraft versuchte ich ihr mit einem Klopfen meines Schwanzes zu verstehen zu geben, dass mein "Wie konntest Du nur?" nicht ihr galt.

Du warst es, mein geliebtes Herrchen, an den ich dachte. Ich werde für immer an Dich denken und auf Dich warten. 

Möge Dir ein jeder in Deinem Leben so viel Loyalität zeigen !

 

 

 

 

 

 

 

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